Als der Präsident des Bundesverfassungsschutzes im Sommer 1954 unter bis heute nicht vollständig geklärten Umständen die Berliner Sektorengrenze überquerte, blickte er bereits auf eine turbulente Dekade zurück: Otto John war einer der wenigen Mitverschwörer des 20. Juli 1944, dem anschließend die Flucht gelang. Im Londoner Exil diente er der alliierten Rundfunkpropaganda und später der britischen Siegermacht. Spätestens die Beteiligung an den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen brachte ihm die Feindschaft einstiger Wehrmachtsoffiziere ein, die in der frühen Bundesrepublik wieder in einflussreiche Positionen einrückten. Johns Amtszeit an der Spitze des neuen Inlandsnachrichtendienstes war dementsprechend von Scharmützeln und Intrigen geprägt, bis er schließlich das Image des „Verräters“ zu bestätigen schien: Kurz nach der Überfahrt nach Ostberlin präsentierte die DDR Otto John als Kronzeugen einer Militarisierung und Renazifizierung, die (nicht nur) sie der Bonner Republik unterstellte. In einer weiteren Volte flüchtete John schließlich 18 Monate später wieder in die Bundesrepublik. Seiner Behauptung, vom KGB entführt und zu den Einlassungen gezwungen worden zu sein, schenkte der wiederum NS-vorbelastete Bundesgerichtshof keinen Glauben und verurteilte John zu einer über das von der Staatsanwaltschaft geforderte Maß hinausgehenden Haftstrafe.
Die Übung verfolgt anhand der „Affäre John“ die Debatten der frühen Bundesrepublik rund um Westbindung und Wiederbewaffnung vs. neutralisierte Wiedervereinigung sowie das Spannungsfeld von Entnazifizierung und Antikommunismus. In seiner schillernder Person spiegelte sich die dramatische deutsche Geschichte jener Jahre einerseits wider, anderseits wirkte sein Agieren auch auf jene ein. Anhand der Erlebnisse und Aktivitäten Otto Johns soll daher auch das komplexe Verhältnis von Struktur und Akteur in der Geschichte diskutiert werden.
- verantwortliche Lehrperson: Arno Barth